Grün

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Jochen
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Grün

Beitrag von Jochen » 22.01.2005, 23:40

Liebe Kollegen,Von den „echten“ heraldischen Farben sind Grün und Purpur im Mittelalter relativ selten (Ausnahmen: z.B. Steiermark, „Grün, ein silberner, rot bewehrter Panther, aus allen Körperöffnungen Flammen ausstoßend“, Königreich Leon, „Silber, ein golden gekrönter purpurner Löwe“).Über die Gründe ist viel spekuliert worden – Grün soll angeblich bei den im freien (bei „Mutter Grün“) stattgefundenen Turnieren auf Abstand schlechter sichtbar gewesen (oder weniger prachtvoll erschienen) sein als die anderen Farben.Kann ja sein. Dem würde ich aber entgegenhalten, daß ein dunkles Blau und Schwarz auf Distanz auch nicht gut auseinandergehalten werden können. Und das gilt vielleicht umsomehr noch für Gelb und Weiß.Ich denke, daß grüne Farbrohstoffe für viele Interessenten schlicht zu teuer waren - und Purpur war wohl jenseits von Gut und Böse.Im Gegensatz zu Rot, Gelb und Blau war es darüberhinaus schwierig, überhaupt ein leuchtendes, sattes Grün zu erhalten. Eigentlich standen im Mittelalter ohnehin nur zwei ernstzunehmende Farbstoffe für die Grünfärbung zur Verfügung, für die Malerei einerseits (Buchkunst und feste Oberflächen wie Stein und Holz) sowie für die Textilfärbung andererseits.Der Malachit lieferte ein schönes Grün, war aber deutlich teurer als Lasurit (=Lapislauzli, Lasurstein).Zwar konnte Grün aus Lasurstein und Gelbpigmenten gemischt werden, aber auch Lasurstein war teuer, und wer bewußt den edlen Lasurstein mit „geringeren“ Farben vermischte, mußte sich wohl wirklich ziemlich bewußt schon für „Grün“ entschieden haben.Auch wurden Wappen als „Wappenröcke“ getragen. Da wird die Sache noch schwieriger, denn mit Malachit kann man keine Stoffe einfärben. Lichtechte, waschechte grüne Faserfarbstoffe aber gibt es erst seit der Neuzeit, also mußte auch hier aufwendig aus Gelb und Blau gemischt werden. Dazu wurde ein Stoff zunächst gelb vorgefärbt und hernach mit Blau nachgefärbt. Beispiele: das sogenannte „London green“.Blaufarben aber wiederum waren ebenfalls teuer (Indigo aus Färberwaid, Isatis tinctoria, oder der Indigopflanze, Indigofera tinctoria), die Färbung damit aufwendig (und unheimlich, da der blaue Indigo erst zum farblosen Leuko-Indigo reduziert, dann auf die Faser aufgebracht, und durch Sauerstoffeinwirkung allmählich wieder zum blauen Indigo oxidiert wird).Gelbe und rote natürlich vorkommende Pigmente und Farbstoffe liegen in weitaus größerer Fülle vor, ebenfalls schwarze und weiße (Bitumen und Kreidesuspensionen für feste Oberflächen)Dies sind so ein paar krause Gedanken, die ich mir mal gemacht habe. Ob das so stichhaltig ist, weiß ich auch nicht. Würde mich freuen, wenn es ein oder zwei Rückmeldungen gäbe.Schöne GrüßeJochen Wilke

Gast

Beitrag von Gast » 23.01.2005, 07:08

Ich glaube kaum, daß ein Preisargument Einfluß hatte. Hält man sich vor Augen, wie aufwendig die Prunkrüstungen gearbeitet waren, dann dürfte das (realtiv) wenige Geld für Purpur oder Grün kaum den Ausschlag gegeben haben.Ich möchte hier nur den Schild der hessischen Landgrafen anführen, der als Halbplastik ausgearbeitet war.Augen waren Rubine, die Krone aus purem Gold mit Edelsteinen besetzt, Mähne und Schwanzquaste aus gebleichtem Pferdehaar mit Silberfäden durchsponnen. Der Körper des Löwen war komplett aus Silber getrieben. Wir wissen nicht, welche Rüstung und welche Helmzier er zum Schild getragen hat, auf jeden Fall muß sie ebenso prächtig gearbeitet gewesen sein, wie der Schild.Bei soviel Aufwand nur für einen Schild, dürften irgendwelche Kosten für Farben kaum eine Rolle gespielt haben.(Der Erzbischof von Köln zahlte um 1400 4.000 Mark Silber für einen Turnierzossen!!!!)Bei echtem Purpur dürfte wohl die schlechte Verfügbarkeit des Stoffes gewesen sein, es wurde ja nicht das Färbemittel eingeführt, sondern durchgefärbte Tuche. Und dabei gab es dann auch haufenweise Betrug. Irgendwo habe ich mal gehört, daß die Purpurschnecke schon zu Römerzeiten ausgerottet war und man daher Ersatz als echten Purpur vertrieb. Die Färbetechniken mit Purpur sind heute nicht mehr bekannt, so daß keiner genau weiß wie der Farbton überhaupt aussah.Die heutigen Versuche der Experimentalarchäologen mit Purpur paasen absolut nicht in das Farbschema, welches man sich heute so vorstellt. :lol:Die Farben, die dabei herauskamen, sahen eher nach Braun und Senf aus.In der mittelalterlichen, englischen Heraldik ist Pupur auch gar nicht so selten anzutreffen. Wenn man sich die Wappenrollen aus dem 100-jährigen Krieg ansieht, dann bemerkt man, daß ein Wappen mit Purpur beschrieben war (Blazon kann man noch nicht sagen), es aber rötlich gemalt war.Welche Farbe ist z.B. Emerald? Was ist Scharlach? Was ist Brunatrer? Die Blasons waren damals äußerst unpräzise.Stoffe wurden auch nicht nur mit durchgefäbten Garnen oder Wolle gewebt, sondern durchaus auch in verschiedenen Maltechniken auf der Oberfläche bemalt, allerdings ohne den in der Malerei bekannten Kreidegrund und der gefirnisten Oberfläche. Ob das einen Regenschauer aushielt? Diese Technik gibt es noch heute bei einigen deutschen Trachten.Ich persönlich glaube vielmehr, daß die Häufigkeit der Farben mehr mit der frühzeitlichen Farbsymbolik zu tun hatte, als mit irgendwelchen Kosten. Dazu mag noch kommen, daß sich Farben durch Umwelteinflüsse veränderten, zumindest bis die Anilinfarben erfunden waren - so daß es ursprünglich vielleicht mehr grüne Wappen gegeben hat, die aber heute als Blau angesprochen werden. Die unpräzisen Blasons darf man auch nicht vergessen.

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M. Waas
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Beitrag von M. Waas » 23.01.2005, 07:10

Oben war nicht Gast der Verfasser, sondern meine Wenigkeit, Login funzte wieder nicht.

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Beitrag von M. Waas » 23.01.2005, 08:44

Die ganze Sache hat mir keine Ruhe gelassen :D und deshalb habe ich mal ein wenig gestöbert, nach dem Motto: Man muß nicht alles wissen, man muß nur wissen, wo alles aufgeschrieben steht.Nach Auswertung alter Wappenbeschreibungen, war Grün früher - um 1100 - die vornehmste Farbe. Um 1300 folgte dann die Umdeutung, Grün wurde die minderwertigste Farbe. Nach der damaligen Wertschätzungsskala, der verschiedenen Tinkturen, konnte dann Grün im Schild gar nicht mehr auftauchen.Erklärung: Auf eine hochwertige Tinktur mußte im Schild eine minderwertigere folgen. Das ist bei Grün aber nicht mehr möglich.Vielleicht erfolgte dann eine Umdeutung von der grünen Farbe in Blau. Es wollte ja keiner als minderwertig gelten. :wink:Desgleichen hat man Schwierigkeiten aus den schon o.a. Gründen überhaupt die Farben zu bestimmen. Z.B. werden in Wappenrollen und Gedichten der damaligen Zeit (apokryphe) Wappen als in Zobel auf Hermelin beschrieben, wobei völlig offen ist, ob es sich um den tatsächlichen Pelz handelt oder aber um den Term für Schwarz.(Vergl. Claus D. Bleisteiner, Der Wappen-Löwe, 13. Jahrbuch)

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Beitrag von Jochen » 23.01.2005, 10:14

Ich kann mir das schon gut vorstellen – ein schöner, satter Grünton ist mit mittelalterlichen Hilfsmitteln eben kaum hinzubekommen – und möglicherweise eben daher minderwertig. Mit Blattgrün (Gras- oder Spinatsaft) eingefärbtes Zeug verschießt in Windeseile und sieht dann nur noch fies aus. :shock:Selbst das „London green“ war vermutlich anfangs eher eher ein grünstichiges Gelb oder Blau. Dahingegen kann man einen schönen Purpurton noch relativ einfach aus Rot und Blau mischen.Meine Interpretation.... Kenntnis zu kulturellen Hintergründen der Minderwertigkeit des Grüns kann ich leider nicht vorweisen. :(

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Beitrag von M. Waas » 23.01.2005, 11:00

In der Heraldik gab es ja noch mehr Wertverschiebungen.Verkappte Figur war früher das Zeichen des Bastards.Der mit einem silberne Helm versehene bunte Löwe des Landgrafen von Thüringen als Zeichen für den unehelichen Sohn.Um 1600 steht dann plötzlich die verkappte Figur als Zeichen der Schande und Strafe.Der Schrägbalken stand im 13. Jahrhundert noch für eine Wappenbesserung. Dann war er plötzlich eine Wappenminderung.

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